Der japanische Kleinwagen war vollgestopft mit Rucksäcken und Fahrrädern. Am Steuer sass gutgelaunt der Modekönig, auf dem Beifahrersitz sein Fotograf Daniel. Der Kleinwagen verliess nach Andeer die A13 und schnurrte gemächlich das Val Ferrera hinauf. Die Nachmittagssonne schien und das Autoradio dudelte. Bei Cröt bogen wir rechts ins Val Madris ab. Doch schon beim Stettli war Endstation, ab hier herrscht Fahrverbot. Das Auto wurde auf dem öffentlichen Parkplatz abgestellt und die Ausrüstung ausgeladen. Für meinen Teil waren das Rucksack und ein antikes Fahrrad, eine grosszügige Leihe aus Martins historischer Velosammlung. Daniels Ausrüstung bestand aus einem Hightech-Fahrrad und einem Armeerucksack 90 mit dazugeheftetem Taschenmodul 90, welches eigentlich für Gamelle 78 und Putzzeug 90 konzipiert wurde. Dass Daniel seine teure Kamera darin verstaute sollte er bald bereuen. Denn kurz nachdem wir die Strasse zum Stausee unter die Räder nahmen, fiel die Kamera beim ersten Holperstein in hohem Bogen und bei voller Geschwindigkeit aus dem Taschenmodul 90 und schepperte über den Kiesweg in den Strassengraben. War das das Ende der Fotografenkarriere von Daniel? Der anfänglichen Schock wich der Erleichterung, denn die Kamera überlebte den Sturz mit nur wenigen Kratzer am Gehäuse. Das Objektiv und die Kamera waren voll funktionsfähig. Kaum vorstellbar bei diesem Sturz, daher ein grosses Lob an die Konstrukteure der Firma Canon. Der weg am Stausee vorbei bis zu Sovräna zieht sich lange dahin und wir waren froh unsere Drahtesel zu haben, ansonsten hätte das mindestens eine Stunde länger gedauert. Bei Sovräna war der Weg zu Ende und wir versteckten unsere Fahrräder zwischen Felsblöcken. Dann folgte der Aufstieg in Richtung Val da Roda, die Vegetation war erstaunlich Grün und Frösche quakten. Ein Schild warnte uns vor einem Hirtenhund, doch der liess sich zum Glück nicht blicken. Weiter überquerten wir eine Brücke ins Val da la Prasgnola. In einer Ebene auf 2500 Metern scheuchten wir eine Herde Gämsen auf. Daniel zückte die Kamera und schoss beeindruckende Bilder. Anscheinend waren wir auf einem alten Römerweg, denn plötzlich standen wir vor einer langen, alten Steintreppe, die zum Pass da la Prasgnola hinaufführt. Die Sonne ging bereits unter und tauchte die ganze Szenerie in ein goldenes Licht. Da standen wir nun auf einer Treppe, die vor tausenden von Jahren von unzähligen Sklaven oder Legionären gebaut wurde, hier am äussersten Ende von Graubünden, ganz allein in der Abendsonne. Ein wahrhaft ergreifender Moment. Es hätte mich nicht gewundert, wenn Gott aufgetaucht wäre und mir Steintafeln in die Hand gedrückt hätte. Er kam aber nicht.
Wir erreichten bald den Pass. Beim Abendbrot genossen wir die Aussicht auf die Granitberge Badile und Cengalo, begleitet von den Klängen der Natur. Das krächzen einsamer Raben, das zilpen von kleinen Bergvögeln und das leise wehen des Abendwindes. Dann war es dunkel und wir verkrochen uns in unser Nachtlager. Die Nacht war kurz und feucht. Der Himmel war so klar, dass man unendlich viele Sterne sehen konnte. Und ich zählte mindestens 1000 Sternschnuppen und wünschte mir entsprechend viel Wünsche. Gestört wurde mein Halbschlaf nur, wenn eine Fledermaus wenige Zentimeter über mein Gesicht hinwegflog, oder gar auf meinem Schlafsack landete. Erstaunlich, dass es in dieser Höhe noch Fledermäuse gibt.
Am morgen standen wir schon vor der Sonne auf und bestiegen den Piz Gallagiun. Es war kalt und wir machten uns an den Abstieg zum Pass da Lägh. Wir gelangten in ein Steiles Couloir wo rechts von uns ein steiles, pickelhartes Schneefeld lag. Irgendwie mussten wir es überqueren, denn wir mussten auf die andere Seite. Doch direkt zu traversieren erschien uns zu gefährlich, so stiegen wir wieder auf und überquerten es weiter oben. Eine weise Entscheidung. Wir setzten den Abstieg auf Fels fort und kurz vor dem Pass flachte das Couloir ab und mündete in einer flachen Senke. Daniel der Draufgänger wollte es dieses mal wagen, das etwas flachere Schneefeld bis zur Senke hinabzusteigen, da ja eine genügend lange Auslaufzone im Flachen folgte. Nach wenigen Schritten auf dem harten Schnee kam er ins Rutschen. Damit hatte er wohl gerechnet und gleitete zunächst elegant in Richtung Pass. Jedoch hat er unterschätzt wie schnell er auf dem Schnee werden konnte. Er wurde nämlich zu schnell. Mit Schrecken sah ich zu wie Daniel immer schneller wurde, eine ungelenke halbe Pirouette vollführte und versuchte mit Händen und Füssen die Fahrt zu verlangsamen. Das klappte auch irgendwie und Daniel kam im Boden der Senke zu Stillstand. Das Resultat waren Schürfungen an den Händen und abgebrochene Fingernägel mit blutendem Nagelbett. Denn harter Schnee ist schlimmer als Schleifpapier. Autsch, das tat bestimmt weh.
Die Moral wurde dadurch und durch Schlafmangel getrübt. Wir verzichteten auf weitere Höhenflüge und stiegen durchs Val da Lägh ab. Die Sonne schien, Salamibrote wurden ausgepackt und der Tag wurde trotzdem noch angenehm.
..und die Tücken des stiebenden Pulverschnees
Beim letzten Versuch den Piz Turba zu bezwingen, zog dichter Nebel auf und wir mussten kurz unterhalb des Gipfels umkehren. Diesmal trafen wir perfekte Verhältnisse an. Strahlend blauer Himmel, arktische Temperaturen und bescheidener Andrang. Eine Ausrede für einen allfälligen Misserfolg liess sich nicht finden, zumal auch die Lawinengefahr in diesem doch sehr flachen Tal von uns als eher mässig beurteilt wurde.
Mit einer frostigen Liftfahrt für 18 CHF verkürzten wir die Aufstiegszeit um ganze zwei Stunden. Oben auf 2560 Meter mit beissender Kälte im Gesicht angekommen, fellten wir die Skis an und bemerkten sogleich, dass die Sommerlagerung im Keller den ganzen Klebstoff vertrocknen liess. Handicapiert liefen wir als erste des Tages den jungfräulichen Hängen entgegen. Auf dem windverwehten Nordostgrat des Sural Cant mussten wir kurzerhand die Skis buckeln um Steinkontakt zu vermeiden. Die folgende Traverse wählten wir auf Grund Triebschneeansammlungen im unteren Teil weiter oben als üblich. Weiter gings in moderatem Gefälle Richtung Leg Curegia. Zum Fotografieren war es zu kalt, zum Schwatzen zu anstrengend und zum Nachdenken zu schön. So genossen wir in bescheidener Art, ja fast schon mit stoischer Ruhe, die mit glitzernden Schneekristallen bedeckte Landschaft und konzentrierten uns auf ein zügiges Vorankommen.
Den Gipfelhang erstiegen wir nicht ganz unfreiwillig ohne Skis unter den Füssen, was sich im Nachhinein als nicht mal so unpraktisch herausstellte. Der Übergang zum Gipfelgrat hatte es in sich. Fast metertief sackten wir bei jedem Schritt jeweils in den Schnee. Und dann war es endlich geschafft: 3018.0 Meter. Die erste Tour im neuen Jahr.
Eine kleine Mahlzeit und ein Panoramafoto später befanden wir uns bereits wieder im Abstieg zum Skidepot. Die winterlichen Verhältnisse liessen keine gemütliche Gipfelstimmung aufkommen, obwohl die Aussicht bis zu den Walliser und Berner 4000er reichte.
Die anschliessende Abfahrt in feinstem Pulverschnee war eine Premiere für uns. Bisher trafen wir nur Firnschnee oder Bruchharsch an. Die wohl begehrteste Schneeart (über)forderte uns aufs Neue heraus und wir bekundeten einige Probleme uns auf den Skis zu halten.
Sichtlich erschöpft erreichten wir nach etwa 5h mit einem breiten Grinsen im Gesicht die Pisten des Skigebiets Bivio. Alles in allem eine gelungen Tour.
Kurztrip auf den Piz Albris.
Als vermeintliche Unterländer gebrandmarkt sowie durch den Verlust einer Sonnenbrille bereits physisch dezimiert wollte an diesem Sonntagmorgen keine wirkliche Stimmung (r)aufkommen – und rauf sollte es wenig später dann doch noch beachtlich gehen. Tiefgefroren von der kurzen aber finanziell einschneidenden Fahrt mit der nostalgischen Zweierkomposition konnte das zum Teil noch etwas benebelte Dreiertrüppchen den zunächst nur leicht ansteigenden Weg Richtung Furcla Pischa (2837m) unter die stark uniformen Wanderschuhe nehmen. Die von Martin versprochenen kapitalen Steinböcke liessen sich in der kargen Landschaft leider nur erahnen. Trotzdem konnten einige interessante Bergseen für spätere Tauchvergnügen gesichtet und fotografisch festgehalten werden. Der anschliessende Aufstieg über das Geröllfeld direkt zum Gipfel des Piz Albris (3165.9m) bedarf keiner weiteren Kommentierung, war das Ganze lediglich davon geprägt, dass ein Teilnehmer wiederum zum Schlusslicht degradiert wurde, diesem der grandiose Ausblick auf den Morteratsch Gletscher mit sichtlicher Verspätung erst erlaubt wurde und zudem aufgrund Martin’s knallharter Zeitkalkulation nur von kurzer Dauer war. Nach einer ziemlich anstrengenden Fotosession entschied man sich unter Ausschluss weiterer alternativer Vorschläge für die direkteste, nicht minder steile Abstiegsroute. Im folgenden Couloir kam es zu einigen kleineren Zwischenfällen, zum erhofften Sturz allerdings dann doch nicht…
Der Rest war gemütliches Wandern durch eine schöne und herbstliche Landschaft, vorbei an glasklaren Bergseen und Haufen von nervenden Touristen – was gibt’s schöneres.