Piz Murtèl, Piz Corvatsch, Crasta dal Lej Sgrischus und Piz dal Lej Alv

Seiltänzelnd zwischen Val Fex und Val Roseg: Auf zum Chapütschin!

Wir fahren mit der Bahn von Surlej in die klassische Gebirgswelt hinein, welche in grauen Morgenschatten vor uns stand, gleich einem Theatervorhang den goldenen Morgen verhüllend. Golden war der Terrassenblick von der Corvatsch-Bergstation dann allemal. Da standen sie nun, die vielbesungenen und oft bewunderten Hünen der Bernina-Gruppe. Unser wohl equippiertes Quintett stand auf der Terrasse und psalmodierte unter dem doll geführten Dirigierstab Daniel W. die ersten Zeilen von Chumm Bueb und lueg dis Ländli aa! Was natürlicher imaginierter Unsinn ist. Für solch pathetische Spielereien und inbrünstiges Innehalten blieb schlicht nicht die Zeit, wollte das GR-3000 Gruppetto, angereichert durch zwei bodenständige mehr oder minder bergerprobte Genossen, an diesem Freitag nicht weniger als fünf Dreitausender (inkl. zwei Fuorcoloas) queren. Oder eben ‚bezwingen’, wie es unter den drei ambitiösen Alpinisten heisst. Der Laie staunt: Doch diese Piz-Einheimserei war schliesslich möglich, da 3300 M.ü.M. für einmal nicht Ziel- sondern Ausgangspunkt der Tagestour war. Eine abwechslungsreiche Gratwanderung der Kategorie WS sollte uns via den Piz Murtél bis auf Il Chapütschin führen. Es machte gar das Gerücht die Runde, dass Martin B., der Konditionsstarke, gar schon mit dem noch weiter südlich liegenden Chapütschin Pitschen liebäugelte.
Geschwind gings über den wenig steilen Firngrat hinauf zum Steinmann des Piz Murtél (3433). Dieser erste Höhepunkt, gestohlen und geschenkt zugleich, erlaubte zusätzliche Weitsicht. Ohne Probleme und Unwegsamkeiten weiter sicher auf den mächtigen Piz Corvatsch (3451). Von da gewann die Gratwanderung an Profil. Der exponierte Südgrad des Corvatsch liess uns vorsichtigeren Tritts fortschreiten und unser Grüppchen in zwei Seilschaften aufteilen. Daniel W. erzählte grausige Geschichten von einem verliebten Bergsteigerpärchen aus der Stadt, das ob des Verliebtseins allzuoft den Blick vom schmalen Granit-Grat (als Geologensohn darf ich so was schreiben) schweifen liess und liebestrunken in den Felsschrund stürzte. Der junge Mann schleppte sich schwerverwundet und husarenreiterisch in die Chamanna Coaz. Seine Begleiterin, die Unglückselige, war ohne Fortüne und liess am Corvatsch ihr Leben. Andri R. donnerte darauf, zu ihrem Gedenken nehme ich an, ein paar mächtige Felsbrocken ins Tal. Von wo Daniel W. solch schreckliche Geschichten weiss? Und weshalb er sie uns en détail erzählte? Es war die gestrengen Hand von Martin B., die mich an Anderes denken liess. An seiner Kandare kraxelten wir langsam zwar, aber mühelos weiter in Richtung Süden.
Wie zirzensische Seiltänzer, die Leichtfüssigen, folgte unser Quintett dem nun wieder breiteren Felsgrat bis zur gut sichtbaren Einsattelung der Fuorcola dal Lej Sgrischus (3232) und wieder hoch zur Crasta dal Lej Sgrischus (3304). Unentschieden mein Blick, vom wunderbar filigranen Piz Roseg zwar immer wieder angezogen, ob dem grün-sattigen Fexertal zur Rechten oder dem rauhen Val Roseg zur Linken mehr Beachtung zu schenken. Il Chapütschin kam zwar näher, doch voran schritt rücksichtslos ebenso die Zeit und der Himmel wurde nicht blauer. Andri R., der Vorsichtige, stets nach Wild Ausschau haltend, gemahnte bereits ans Umdenken und fand in Markus L. einen treuen Begleiter. Die beiden verabschiedeten sich von Gruppe und Grat und stachen stracks hinab zu den Gestaden des Lej Sgrischus.
Weit oberhalb der Fexer Seelandschaft folgten wir, einstweilen ein Trio, weiter dem Grat, stiegen hinab zur Senke des Übergangs Fex-Roseg (3068) und standen bald auf dem Piz dal Lej Alv (3197). Daniel W., der Geschichtenerzähler und ausgezeichnete Fotograph, traute dem Gletscherfeld des Chapütschin nimmer mehr und liess sich über ein Felscouloir direttissma ins Val Fex fallen.
Nach weiterer einfacher Kletterei stand Martin B. mit mir, wie vor auf den Tag fast genau 160 Jahren der erste moderne Berggänger Johann Wilhelm Coaz mit einem wackeren Gefährten, alsbald auf dem Vadrettin dal Chapütschin; die gut sichtbare Schneespur, die vom Val Roseg zum Chapütschin führte, war in unmittelbarer Reichweite. Stilsicher argumentierend und ohne lavieren zertrümmerte Martin B. meine stets gewachsene Hoffnung, trotz zunehmend grauen Wolkenfeldern und kräftigen Windstössen doch noch vom Piz Chapütschin zu grüssen. Wäre Martin B. ein Haudegen à la Coaz, wir hätten uns Il Chapütschin nicht nehmen lassen! Entlang der kleinen Gletscherzunge und mühsamen Geröllhalden verloren wir schnell an Höhe und wanderten zügig an den drei Seen Nair, Alv und Sgrischus vorbei. Ein angenehmer Höhenweg, ab dem Lej Sgrischus einem Ariadnefaden gleich, führte uns über die Alp Munt Sura nach Mormorè und hinunter nach Sils. Wie Martin B. die fast 1300 Höhenmeter vom Chapütschin-Gletscher nach Sils abspulte, verdient höchste Beachtung. Wie ein Florettfechter mit kleinen, raschen Schrittchen liess er mich gar nicht in Versuchung kommen, mit der Flora Alpina spätsommerlichen Ostalpenblumen ihren richtigen Namen zuzuweisen.
Wieder vereint in Sils liess man mich wissen, der nächste Anlauf auf Il Chapütschin werde dann im Winter unternommen. Bekunde schon jetzt Interesse an einer Tourteilnahme.
Es gilt mein Dank den Tourorganisatoren, den Seil- und Wasserträgern, den auskunftfreudigen Hochtouristen sowie dem nicht immer souveränen aber stets fahrtüchtigen Mercedesfahrer Andri R.
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Piz Laviner und Piz d’Alp Val

Felsakrobaten

Kaum zu glauben, aber das gr3000 Team hat es mit dieser Tour geschafft bereits zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres in Originalbesetzung einen Berg zu besteigen – Rekord!
Zu einer völlig unmenschlichen Zeit starteten wir am Ausgangspunkt Naz, oberhalb von Bergün. Mein dringend nötiges Schlafpensum von mindestens neun Stunden pro Nacht wurde nicht mal zur Hälfte erreicht, dementsprechend war auch meine Laune. Diese besserte sich jedoch ein wenig, als es etwas heller wurde und ich die Landschaft des wunderschönen Val Mulix erblickte. Wildes Gebüsch wuchert beidseits eines wilden Flusses, der das malerische Tal teilt. Auf der linken Seite (in Fliessrichtung) des Flusses verläuft ein Weg. Martin schien jedoch vom Jagdinstinkt gepackt und folgte einem Wildwechsel auf der rechten Seite, der sich bald in unwegsamen Gelände mit Morast und Legföhren verlor. Wie Schafe, die einem Leithammel gefolgt waren, standen auch wir plötzlich in der Pampa. Doch der richtige Weg war bald erspäht und wir hielten darauf zu. Den Fluss ohne Brücke zu überqueren bereitete etwas Mühe, jedoch schafften es am Schluss alle und wir waren wieder auf Kurs. Oberhalb der Alp Mulix verliessen wir den Weg und steuerten direkt auf die Felsbänder zu. Auf einem Gras-Streifen erklommen wir die Ebene oberhalb der Alp Mulix. Die Sonne war mittlerweile aufgegangen und verstrahlte unsere Köpfe und erwärmte langsam den Schnee, auf welchem wir in die Höhe zu steigen gedenkten. Steigeisen wurden montiert, deren Wirkung im wesentlichen darin bestand Kraft pro Quadratzentimeter Auftrittsfläche zu reduzieren. Man sank also nicht mehr so tief ein, denn der Schnee war schon ganz schön nass für diese Uhrzeit. Martin spurte in der Folge im TGV-Tempo unterhalb der Fuarcla da Bever und hinterliess keuchende Freunde. Erwähenenswert: Ein riesiger Abdruck im Schnee, der eventuell der eines grossen Raubtieres (Wolf, streunender Wolfshund) gewesen sein könnte.
Wir bestiegen den Piz Laviner ohne Schwieigkeiten von Norden über den Punkt 3052. Von da aus sah man bereits unser nächstes Ziel, den Piz d’ Alp Val, dessen Hauptgipfel man nur schwer ausmachen kann. Der Abstieg zur Fuorcla da Bever erfolgt zunächst über ein steiles Couloir auf der Westseite. Vorsicht Steinschlaggefahr, dicht hintereinander absteigen!
Über die Fuorcla da Bever gelangten wir unterhalb des Piz d’Alp Val. Der Einstieg war schwierig zu finden, doch zum Glück hatten wir Martin dabei. Mit Adlerauge und einem ausserordentlichen Orientierungssinn ausgestattet, vermochte er uns in das richtige Aufstiegscouloir zu führen (oder gibt es am Ende mehrere?). Nach kurzer Kraxelei wurde die Gefahr eines Todessturzes erheblich grösser und wir seilten uns an. Weiter gings rechtsseitig des Couloirs in gemütlicher Kletterei (II+ in rüchigem Fels) auf den Gipfel. Eine kurze Stärkung hob die Laune und wir waren guten Mutes am selben Tage auch noch den Piz Bial zu besteigen. Doch da haben wir die Rechnung ohne den Abstieg gemacht. Keine Ahnung ob ich die falsche Route gewählt habe, auf jedenfall gestaltete sich der Abstieg zum Verbindungsgrat zum Piz Bial um einiges Mühsamer als der Aufstieg. Unsere fehlende Routine in den Felsen machte sich hier deutlich bemerkbar und gab uns schon einen kleinen Vorgeschmack auf das, was uns beim Scerscen widerfahren sollte. Doch dazu später. Technisch war der Abstieg durchaus machbar, aber für uns schon ein wenig fordernd. Daher war unser Tempo eher bescheiden und wir benötigten Stunden bis wir auf dem Grat zum Piz Bial standen. Am Ende waren wir neun Stunden unterwegs. Da noch ein Fussballspiel anstand, beschlossen wir nach Hause zurückzukehren, der Bial liesse sich auch später noch besteigen. Und neun Stunden Training für den Scercen seien auch genug, so der Tenor des gr3000 Teams. Direkt beim Punkt 3033 verläuft ein Couloir bis ins Val Mulix, durch welches wir abstiegen und bald wieder in Naz waren.
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Bocktenhorn

Immer der Nase nach…

Daniel und Markus on Tour. Das heisst in erster Line, dass alle Töchter des Dischmatals zu Hause blieben. Denn es war früh am Morgen als wir am Dürrboden unser Vehikel abstellten
Traditionellerweise verlaufen wir uns, wenn wir zu zwei unterwegs sind. So auch dieses mal. Ich hatte die Karte vergessen, Daniel brauchte sie nicht, so dachte er jedenfalls. Bis zu den Seeböden vermochten wir uns zu orientieren. Danach aber stellte sich mit Blick auf die vor uns auftürmenden Felsmassen die Frage: „Ja welcher Berg isses den nun? Rechts oder links?“ Ich tendierte für rechts, denn ich hatte mir das irgendwie so eingeprägt. Doch Daniel argumentierte dass er schon 100 mal in dieser Region unterwegs war und sei zu fast 100% sicher, dass es der linke Berg sei. Weil das schon ganz viele Prozente sind siegte diese Argumentation und so stiegen wir an der linken Flanke des linken Berges hinauf. Zunächst steil die Grasböschung empor, dann noch steiler und irgendwann wurde es ganz schön sehr steil an diesem Grashang. Der führte übrigens gleich auch auf den Gipfel des Berges, den wir für das Bocktenhorn hielten. Doch beim Anblick des echten Bocktenhorns wurde uns schnell klar, dass wir es verbockt hatten und leider nur auf dem Leidhorn waren. Peinlich peinlich. Doch die Überschreitung war locker, einzig der Schnee der noch in rauhen Mengen dalag bereitete minimale Schwierigkeiten, ohne uns allerdings gross aufzuhalten. Bei Speck und Wasser genossen wir die Aussicht an diesem schönen Tag und beschlossen nicht aufs Augstenhüreli weiterzugehen. Der Schnee war definitiv zu tief und nass. Also stiegen wir diretissima auf der darunterliegenden Geröllhalde ab, überwanden ein kleines Felsband und rutschten gemütlich über Schneefelder zu den Seeböden zurück. Da waren wir froh, dass wir nicht über die eigentliche Route aufgestiegen waren, denn die wäre durch den vielen Schnee um einiges mühsamer gewesen als der schöne steile Grashang. Tour beendet.

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