Nach unseren tollen Ausbildungstagen im Berninagebiet galt es nun, das Erlernte ohne fachkundige Führung am Berg zu erproben. Deswegen wählten wir eine leichtere Klettertour aus, der Schwierigkeitsgrad im Führer wird mit ZS- angegeben. Um 8.15 starteten wir bei -1°C in Tigias in Richtung Plang Lung, das Wetter war bis dahin wolkenlos, obwohl Meteo am Vorabend wiedermal anderer Meinung war. Ab 2400 Metern war alles mit Schnee überzuckert, schön anzuschauen während unseren kurzen Verschnaufspausen in Richtung Punkt 2770, wo wir uns schon bald anseilten. Aufgrund des Neuschnees waren einige Passagen ein wenig heikel, aber notfalls konnten wir uns auf dem Hosenboden immer irgendwie weiterbewegen. Auf dem unspektakulären und wahrscheinlich selten besuchten Gipfel des Piz Cucarnegl machten wir eine kurze Pause, um danach den kurzen Abstieg bis zur Scharte in Angriff zu nehmen. Danach folgten einige Türme, wobei wir den letzten auf der Südseite umgingen, da uns die direkte Übersteigung doch ein wenig zu kühn vorkam. Mit schweren Schritten bewegten wir uns danach über das steile Geröllfeld Richtung Gipfel, welche wir um viertel vor eins erreichten. Damit waren wir rund eine Stunde langsamer als im Führer angegeben. Wir müssen uns wohl noch an schwierigeres Gelände gewöhnen, sind wir doch im Aufstieg und Abstieg in einfachem Gelände jeweils gut bedient mit den Zeitangaben. Ein wenig erschöpft machten wir uns an den Abstieg in Richtung Gletscher. Wiederum angeseilt, ohne Steigeisen und mit nur einer Sonnenbrille überquerten wir den Gletscher, der immer ein wenig steiler wurde. Zum Glück hatte es noch ein wenig Neuschnee, so dass wir doch stetig an Höhe gewinnen konnten, ohne auszurutschen. Im Sattel angelangt, machten wir uns auf den Weg, um auch den Piz Picuogl mitzunehmen. Der Gipfel erscheint einem zwar nah, der Weg war aber nach unseren Anstrengungen doch beschwerlicher als angenommen. Nach rund 20 Minuten konnten wir den 3. Dreitausender an diesem Tag besteigen, bezeichnenderweise ist er auch 3333 Meter hoch. Nach der Tschima da Flix und über die Furocla da Flix galoppierten wir in rasantem Tempo in Richtung der beiden Seelein auf 2500 Metern. Nach genau 10 Stunden erreichten wir wieder unseren Ausgangspunkt.
Frühmorgens um 3.00 sollte unser grosser Tag mit dem Frühstück beginnen. Der Piz Roseg war bisher mehr Traum respektive Mythos, welcher uns in den Köpfen umherschwirrten als pure Realität, vor allem nachdem er im Aufstieg zur Tschiervahütte am Vorabend noch in Wolken gehüllt war. Im Vorjahr hatten wir den Prachtsberg jedoch vom Piz Morteratsch aus bestaunen können. Dass wir bereits ein Jahr später einen Besteigungsversuch wagen sollte, getraute sich damals noch niemand überhaupt zu denken. Nun wagten wir fürhmorgens einen Blick nach draussen: Für einmal hielt die Meteoprognose, was sie versprochen hatte: Wolkenlos, der Piz Roseg als dunkler Riese von Sternen umgeben. Nach kurzen Vorbereitungen standen wir, gespannt, was der heutige Tag bringen würde, vor der Tür, umringt von unzähligen, weiteren Bergesteigern. Glücklicherweise hatten sich jedoch einige den Biancograt zum Ziel genommen, so dass wir nicht befürchten mussten, in einer Kolonne den Berg hinaufzusteigen.
Unsicher auf den Beinen stiegen wir auf einem Trittpfad und über mehere Felsblöcke hinunter auf den Vadret da Tschierva. Da dieser völlig ausgeapert ist, konnten wir auf Seil und Steigesen verzichten, um zur Felsinsel, welche sich vom Piz Umur hinunterzieht, hinüberzuqueren. In leichter Kletterei stiegen wir zuerst im Osten, dann im Westen die Felsen bis unter den Piz Umur auf, wo wir uns dann aber – wieder auf dem Gletscher angelangt – anseilten. Wer jetzt noch viel im Rucksack hat, hat wohl was falsch gemacht, klärte uns Gian auf. Wie er all seine Utensilien, notabene inklusive Pickel in seinen kleinen Rucksack packte, bleibt für uns leider ein Rätsel.
Die Dreierseilschaft Gian/Mauro/Daniel stieg voraus, Markus/Martin folgten Ihnen dicht auf den Fersen. Am langen Seil stiegen wir auf Rund 3150m auf, wo wir mit der Traverse in Richtung Eselsgrat begannen. Die erste Mutprobe folgte sogleich. Die grösste Spalte, die sich uns in den Weg stellte, musste überquert werden. Dafür bot sich eine prächtige Schneebrücke an, die gerade genügend Platz liess, einen Fuss darauf zu stellen und die völlig in der Luft zu schweben schien. Als der schwere Daniel den grossen Schritt auf die labile Unterlage wagte und sein ganzes Gewicht darauf verlagerte, sackte die Brücke ein wenig zusammen. Markus schien es nicht für nötig zu halten, sich besonders zu konzentrieren und stolperte tatsächlich über den Spaltenrand. Nicht wirklich vertrauenserweckend für die Nachfolgenden Seilschaften. Am unteren Ende des Eselsgrates angelangt, hatten wir während der kurzen Verschnaufspause Zeit, uns zu verpflegen und den Seilabstand zwischen uns zu kürzen, während dem die Sonne auch unseren Standort erreichte. In schöner, angenehmer Kletterei in stabilen Felsen gaben wir uns redlich Mühe, und trotzdem hielten wir die nachfolgenden Seilschaften ein wenig auf, was diese dazu veranlasste, an den unmöglichsten Orten neben uns herzuklettern um uns Tipps zu geben. Doch leider nahm nach rund 1.5 Stunden dieser Genuss ein Ende, und wir fanden uns wieder auf weissem Untergrund. Die Schneekuppe, 3918m, unser Minimalziel, war nun zum Greifen nah. Über steile und weniger steile Flanken konnten wir gut an Höhe gewinnen. Martin verlor hier einen Steigeisen, welcher ohne die nachfolgende Seilschaft wohl noch ein wenig länger dort liegen geblieben wäre.
Glücklich und zufrieden erreichten wir die Schneekuppe, Muotta da Naiv auf Romanisch. Hätten wir nur im Ansatz gewusst, was uns noch bevorsteht, wären wir wohl nicht so zuversichtlich gewesen. Vom soeben erreichten Punkt führt die Route rund 60 Höhenmeter runter. Dabei läuft man nahe am Grat in der Schneeflanke, immer den Gletscher, der rund 600 Metern weiter unten liegt, vor Augen. Mit zittrigen Knien tasteten wir uns Schritt um Schritt vorwärts, um den Übergang zum felsigen Aufschwung Richtung Hauptgipfel zu erreichen. Dieses letzte Teilstück war wiederum leichtere Kletterei, für uns eine gute Übung um mit Steigeisen auf Fels zu gehen. Der Gipfelrast gestaltete sich ausserordentlich angenehm, da es absolut windstill und genügend warm war. Die Fernsicht vom Gipfel ist imposant, die Tiefblicke Richtung Scerscen und Bernina atemberaubend. Der Abstieg verlief bis zum Eselsgrat weitgehend problemlos. Dort wurde uns aber unsere technischen Limiten aufgezeigt, haben wir doch beim Abseilen viel Zeit verloren. Insbesondere sei hier Markus mit seiner Antwort “ja,ja” auf verschiedenste Fragen zu erwähnen.
Glücklich und zufrieden, aber mit doch einigermassen müden Beinen erreichten wir am Nachmittag bei strahlendem Sonnenschein die Tschiervahütte, wo wir uns ein wenig ausruhen konnten um uns auf den nächsten Tag vorzubereiten.
Erster Nebel, beschlagene Linsen, Plastikkameras im Gepäck. Daniel, Augenthaler und Blaus – ab in die Höhe. Starker Regen bremst die drei Kletteraffen. Kurze, präzise und brauchbare Fototipps des Mega-Profis verzögern den Aufstieg. Immer wieder Regen, vorbei am Wasserfall beim Zervreilasee, grüner Geruch, dunstige Farbe. Schon früh zeigt sich in Blauses Augenthalent. Bei der Lambertschalp der Aufstieg. Garstige Temperaturen. Blausige Schweissperlen bei den Einen, kühler Stolz bei den Anderen. Augenthaler hustet. Daniel schweigt.
Bereits nach Kurzem löst sich der Hase aus dem Feld, die Konditionstiere, aufgrund von unangenehmen, physiologischen gastrointestinalen Blausdünstungen, trachseln im Windschatten.
Pfiffe. Murmeltier? Steinbock? Steinblock? Weiterwandern. Pause. Weiterwandern. See. Blausee. Blause. Fotos. Amatördiskussionen mit Amatörprofifotograf, von Amatören.
Kalte Schultern, der Wind blaust. Die Sonne, manchmal. Wandern. Schnee in Sichtweite. Schön der Fels. Steine, Platten, Geschiebe, Kontraste, Emotionen. Im Schnee besser runter als rauf. Wo ist die Spitze? Noch 3103 Schritte? Über karge Vulkanlandschaft, da oben kreist ein Adler. Weiterziehen, auch du Adler!
Kurz vor der Passhöhe machte sich Gregory (Rast) auf, den Gipfel in einer geraden Linie zu erklimmen. Unentschlossen, ob dies der richtige Weg sei, folgten ihm Blaus Augenthaler doch. Grosszügig an Höhe gewonnen, man blickt von oben runter aufs Hora. Wowoll (Boboll) der Pizzo rückt näher.
Auf dem Gipfel, wichtiges Gipfelfoto, neidisch aufs Rheinwaldhora blickend, beissen sie Nahrung, damit die Langeweile um den Mund herum vergeht.
Frehsner massiert die Gebeine. Cuche schnaubt. Amba. Schneller Abstieg über Schneefelder, Cuche stürzt. Souverän. Weiter. Schneelöcher. Weiter. Dann Lambertschalp. Bier. Dörfler. Disco. Um den Zervreilasee zoom Auto. Zurück im Tal sind wir der Köchin dankbar.